Die Fahrradstadt Kopenhagen: Ein Interview mit Svea

Wie fühlt es sich an in der fahrradfreundlichsten Stadt der Welt zu leben? Was für Erfahrungen nimmt man mit und wie fällt der Vergleich zwischen Deutschland und Dänemark aus? All das haben wir unsere Freundin Svea im folgenden Interview gefragt!

Der Nyhaven in Kopenhagen

Svea in einem Radcafé

Svea zog im Rahmen ihres Auslandssemesters für ein halbes Jahr aus der Autostadt Stuttgart in die Fahrradhauptstadt Kopenhagen. Im folgenden Interview erzählt Sie von ihren persönlichen Erfahrungen, die Sie in der Stadt und vor allem beim Radfahren gemacht hat. Unteranderem suchte Sie ihr eigenes Rad, fuhr auf Radautobahnen und es liefen auch Tränen....

Zuerst eine Frage zu Kopenhagen allgemein: Ist Dir ein besonderes Lebensgefühl innerhalb der Stadt aufgefallen? Spielte dabei die Fahrradkultur eine Rolle?

Ja, die Fahrradkultur spielt eine große Rolle. Die Dän*innen sind allgemein sehr viel draußen. Sogar im Winter wird das Bier vor der Bar getrunken, egal wie sehr es regnet oder windet. Außerdem versprühen die Menschen dort eine mir bisher unbekannte Lebensfreude und Ausgeglichenheit. Sie sind sehr freundlich und zuvorkommend. Ich denke, dass Radfahren innerstädtisch als gemütliches Verkehrsmittel dient und als Ausgleich funktioniert. Das Wetter ist vor allem in den Wintermonaten hauptschlich schlecht, weswegen die Entscheidung für oder gegen das Radfahren davon unabhängig ist – man tut es einfach. Außerdem kreiert Radverkehr im Stadtbild einen langsameren und leiseren Verkehr, weswegen die Stadt für den Fußgänger*innenverkehr und durch das Nutzen der kleinen Geschäfte am Straßenrand lebendiger wird. Ich habe die Stadt auch deshalb als unglaublich lebenswert empfunden.

Haben sich deine Vorstellungen zum Leben und Studieren in Kopenhagen erfüllt? Was war anders als gedacht?

Insgesamt bin ich positiv überrascht gewesen. Zwar war das Wetter noch schlechter und alles noch viel teurer als befürchtet, aber alles andere hat meine Erwartungen bei Weitem übertroffen. Die Universität und die Lehre dort haben ein unglaublich hohes Niveau, die Menschen leben ihren "Hygge-Lifestyle" und das Radfahren war noch viel besser als gedacht. Ich würde jederzeit wieder dort studieren und kann mir sogar ein Leben dort vorstellen.

Innenstadt von Kopenhagen

Welche verschiedenen Verkehrsmittel hast Du in deiner Zeit in Kopenhagen genutzt?

Hauptsächlich natürlich das Fahrrad. Ich bin am Tag zwischen 5 und 50km gefahren. Zur Uni, zu Freund*innen, zu Partys oder zum Einkaufen, man erledigt praktisch alle Wege mit dem Rad. Zu Fuß bin ich nur innerhalb der Fußgängerzone oder an der Strandpromenade gegangen. Da der ÖPNV dort relativ teuer ist, habe ich dieses Angebot selten in Anspruch genommen – hier habe ich hauptsächlich Busse genutzt, aber auch einmal die U-Bahn. Da das ÖPNV-Netz in Kopenhagen weniger gebraucht wird, ist es bei weitem nicht so gut ausgebaut wie beispielsweise hier in Stuttgart. Ein Auto habe ich über die Monate überhaupt nicht benutzt.     

Welche Besonderheiten der städtischen Fahrradinfrastruktur Kopenhagens sind dir im Gedächtnis geblieben? Was war positiv, was eher negativ?

Was mir bis heute nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist, ist der erste Moment, in dem ich die Radinfrastruktur dort genutzt habe: Ich hatte wirklich Freudentränen in den Augen. Die Situation, die ich mir hier täglich erträume, ist dort Realität. Was die Fahrradinfrastruktur dort so gut macht hat viele Gründe: Man kann die Stadt mit 20km/h komplett durchqueren, ohne einmal anhalten zu müssen, weil die Ampelschaltungen darauf abgestimmt sind. Die Radwege, die es in fast jeder Straße beidseitig gibt, sind baulich von der Straße durch einen Bordstein abgehoben, um zu verhindert, dass Autos zum Ausweichen auf den Radweg fahren können oder dort halten. Außerdem sind diese Radwege so breit, dass man eine/n langsamer Radelnden ohne Probleme überholen kann. An Kreuzungen gibt es meistens Fahrradampeln und zusätzlich an der gegenüberliegenden Kreuzungsseite eine zweite Ampel. Der Grund dafür liegt in der besonderen Technik beim Linksabbiegen mit dem Rad, weil man dabei vor der Haltelinie steht und die eigentliche Ampel dann nicht mehr sieht. Außerdem sind die Mülleimer zum Radweg geneigt, damit man den Müll während dem Fahren vom Rad aus entsorgen kann und die Öffnung des Mülleimers trifft. Um das Anhalten und Warten an Ampeln zu erleichtern, gibt es häufig Trittbretter, auf die Radelnde ihren rechten Fuß abstellen können, wenn die Ampeln rot sind. Das macht auch das Anfahren komfortabler.
Einer der wichtigsten Gründe klingt banal, ist aber sehr bedeutend: Die Menschen in Kopenhagen sind mit Fahrrädern sozialisiert. Kindern wird beispielsweise beigebracht, beim Überqueren der Straße auch auf leisere Verkehrsteilnemer*innen und nicht nur auf Autos zu achten. Das erscheint zunächst wie eine unwichtige Kleinigkeit, aber es macht sehr viel aus.
Was an Kopenhagen jedoch oft kritisiert wird, ist das Fehlen der niederländischen Variante an Kreuzungen: Der rechtsabbiegende Autoverkehr wird dabei erst 90o nach rechts geleitet, bevor er auf den Radweg trifft. Das führt dazu, dass keine Radfahrenden übersehen werden, weil das Sichtfeld frontal auf den Radweg gerichtet ist. Ich habe diese Ausführung dort aber überhaupt nicht vermisst und mich trotzdem sehr sicher gefühlt.

Uni-Campus in Kopenhagen mit Fahrradparkhaus

Hast Du die Cycle-Super-Highways oder eins der Fahrrad-Parkhäuser genutzt? Welche Erfahrungen hast du dabei gemacht?

Die Highways verbinden beide Seiten der Stadt über das Wasser hinweg. Man nutzt sie ständig, um von der einen zur anderen Seite zu gelangen. Die innerstädtischen „Radschnellwege“ gewährleisten eine schnelle und sichere Fahrt. Die „Bicycle Snake“ ist hier wahrscheinlich das bekannteste Beispiel. Es macht sehr viel Spaß beim Fahren die Stadt wahrzunehmen und zu erleben. Natürlich ist dort viel los, aber man wird im Fluss mitgezogen. In der Stadt gibt es viele verschiedene Abstellmöglichkeiten. Ein klassisches Fahrrad-Parkhaus habe ich nicht benutzt, aber die preisgekrönte Abstellmöglichkeit an der Universität auf dem Südcampus dafür täglich. Da sich der Platz mitten auf dem Campus befindet und überdacht ist, macht es das Radabstellen komfortabel und sicher. Außerdem wird das Rad nicht so schnell von Witterung beeinflusst. Man muss bei all den vielen Fahrrädern nur aufpassen, dass man sein Rad wieder findet. ;-)

volles Uni-Fahrradparkhaus in Kopenhagen

Innerhalb Kopenhagens werden laut Statistik fast 50 Prozent der innerstädtischen Wege mit dem Rad bestritten, in Stuttgart sind es weniger als 10 Prozent!1 Warum ist Stuttgart keine Fahrradstadt und welche gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Städten fallen dir bezüglich des Radverkehrs besonders auf?

Der Hauptgrund dafür ist meiner Meinung nach, die fehlende Infrastruktur für Fahrräder. Man kann das hier sehr gut am Autoverkehr sehen: Menschen nehmen Straßen, Parkhäuser, Parkplätze und Autos im Stadtbild wahr. Daraus folgt: „Die Infrastruktur ist für mich gemacht, also nutze ich sie.“ Diesen Anreiz hat man hier bezogen auf das Fahrrad aber nicht. Es fehlt also in erster Linie an Radwegen – und damit meine ich ausdrücklich nicht Radschutzstreifen. Durch den Austausch mit vielen Leuten, die hier ganz bewusst nicht mit dem Rad fahren, weiß ich, dass sie Angst haben. Angst vor dem Verkehr und Angst vor dem Stürzen und Verletzungen. Auch bei den Abstellmöglichkeiten besteht noch Luft nach oben. Es gibt in der ganzen Stadt viel zu wenig Möglichkeiten das Rad abzustellen, wie Fahrradbügel o.Ä. und wenn es welche gibt, sind sie nicht überdacht oder schlecht positioniert. Gute Fahrrad-Parkplätze sollten im besten Falle diebstahlsicher und auch für größere Räder wie z.B. Lastenräder nutzbar sein. Die neuen Bikeboxen in Stuttgart gewährleisten das leider nur teilweise.       
Man fühlt sich hier auf dem Rad einfach nicht sicher. In der Masse an Autos wird man nicht gesehen und als vollwertige/r Verkehrsteilnehmer*in wahrgenommen. Aber auch mit Fußgänger*innen kommt es immer wieder zu brenzlichen Situationen. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass es keine klar getrennten Verkehrsräume für alle am Verkehr Beteiligten gibt – wie es in Kopenhagen der Fall ist. In Deutschland erlebe ich eine Feindschaft zwischen Autofahrer*innen und Radfahrer*innen. Diese verhärteten Fronten machen das Vermitteln und die Akzeptanz aber noch viel schwieriger und zeigen sich im Verkehr durch Aggressivität bei allen Beteiligten. In Kopenhagen habe ich mich dagegen sicher gefühlt. Alle sehen Radfahrende, alle respektieren sie und alle nehmen Rücksicht auf jede Form der Mobilität. Es gibt klare Wege, auf denen man sich bewegt und Regeln auch im Radwegnetz, an die sich die meisten halten.

Modal Split

Was könnte die Politik hier in Deutschland deiner Meinung nach unternehmen, um Städte fahrradfreundlicher zu gestalten?

Es sollte viel mehr Geld für Radfahrinfrastruktur ausgegeben werden. Bundespolitisch wird im Vergleich zum Autoverkehr beispielsweise zu wenig investiert. Dazu gehört auch, dass man den ÖPNV und das Radfahren besser aufeinander abstimmt und Züge fahrradfreundlicher macht. Das schafft Anreize, auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen, wie es Kopenhagen vormacht. Damit zeigt die Politik auch, wie ernst es ihr mit dem Erreichen der Klimaziele und der Klimapolitik im Allgemeinen ist. Denn wir haben mit dem Klimawandel ein gesamtgesellschaftliches Problem, das sich nur lösen lässt, wenn alle konstruktiv zusammenarbeiten. Und dieses Verhalten wünsche ich mir von der Politik – eine Politik auf Augenhöhe. Eine weitere Frage ist, wie das bereitgestellte Geld konkret von den Kommunen genutzt wird. Sie sollte Fahrradfahren allgemein stärker bewerben und sicherer machen. Heißt konkret: Radwege, Radabstellmöglichkeiten, Radwegbeleuchtung, Radverkehrs-zählstellen, Fahrradstraßen, Radreparatursäulen, Verkehrsberuhigung durch Tempo 30 usw.

Wie sollten Bürger*innen handeln, um eine Fahrradkultur wie in Kopenhagen zu etablieren beziehungsweise eine Verkehrswende herbeizuführen?

Zunächst würde ich mir wünschen, dass so viele Menschen wie möglich ihr Mobilitätsverhalten hinterfragen und überdenken. Nur, „weil man das halt schon immer so macht“, ist das eventuell nicht die individuell beste Art und Weise sich fortzubewegen. Dazu gehört auch, offen für alternative Mobilität zu sein. Mir ist klar, dass nicht auf einmal alle Menschen auf das Rad umsteigen können und das müssen sie auch gar nicht. Denn auch das Rad ist nicht die Lösung, aber es ist eine Lösung im Mobilitäts-Mix. Meiner Meinung nach kann eine Verkehrswende am besten und schnellsten funktionieren, wenn so viele Bürger*innen wie möglich auf umweltfreundlich(er)e Verkehrsmittel umsteigen. Zur Verkehrswende zählt aber auch, dass allgemein versucht werden sollte, Wegstrecke einzusparen. Zu glauben, dass ein Wandel „von oben“ vorgegeben wird, ist eine utopische Vorstellung. Die Politik kann nur die Anreize für eine Änderung geben.

Svea mit Fahrrad am Strand

Das Dashbike-Team bedankt sich bei Svea für die tollen Einblicke und Bilder aus Ihre Zeit in der Fahrradhauptstadt Kopenhagen. Gemeinsam können wir auch Deutschland fahrradfreundlicher gestalten! #copenhagenize

 

1 Quellen:
http://www.vvs.de/download/Mobilitaetsbroschuere.pdf 
https://fietsberaad.nl/getmedia/7b3e09f0-d80a-4d49-b7a5-ab031bc5e3e3/Copenhagen-Bicycle-Account-2018.pdf.aspx?ext=.pdf

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